K Ö N I G   L E A R Inhalt | Personenübersicht | Akt III, Szene V

 
Akt III, Szene IV
Teil der Heide mit einer Hütte.
  Es treten auf Lear, Kent und der Narr.
 
Kent: Hier ist's, Mylord! o geht hinein, Mylord!
Die Tyrannei der stürmisch rauhen Nacht
Hält der Mensch nicht aus.
  Fortdauernder Sturm.
Lear: Laß mich zufrieden.
Kent: Ich bitt Euch, kommt.
Lear: Willst du das Herz mir brechen?
Kent: Mein eignens eh'r. O geht hinein, mein König.
Lear: Dir dünkt es hart, daß dieser wüt'ge Sturm
Uns bis zur Haut durchdringt. So ist es dir.
Doch wo die größre Krankheit Sitz gefaßt,
Fühlt man die mindre kaum. Du fliehst den Bären;
Doch führte dich die Flucht zur brüll'nden See,
Liefst du dem Bären in den Schlund. Ist frei der Geist,
Dann ist der Leib empfindlich. Der Sturm im Geist
Raubt meinen Sinnen jegliches Gefühl,
Nur das bleibt, was hier wühlt - Undank des Kindes!
Als ob der Mund zerfleischte diese Hand,
Weil sie ihm Nahrung bot! Schwer will ich strafen!
Nicht will ich weinen mehr. In solcher Nacht
Mich auszusperrn! - Gieß fort; ich will's erdulden.
In solcher Nacht wie die! O Regan, Goneril!
Euren allten, guten Vater, des freies Herz
Euch alles gab - o auf dem Weg liegt Wahnsinn!
Nein, dahin darf ich nicht, nichts mehr davon!
Kent: Mein guter König, geht hinein!
Lear: Bitt dich, geh du hinein, sorg für dich selbst.
Der Sturm erlaubt nicht, Dingen nachzusinnen,
Die mehr mich schmerzen. Doch ich geh hinein,
Geh, Bursch, voran! - Du Armut ohne Dach!
Nun, geh doch! Ich will beten und dann schlafen.
  Der Narr geht in die Hütte.
  Ihr armen Nackten, wo ihr immer seid,
Die ihr des tück'schen Wetters Schläge duldet,
Wie wohl eu'r schirmlos Haupt, hungernder Leib,
Der Lumpen offne Blöß' euch Schutz verleihn
Vor Stürmen, so wie die? O daran dacht' ich
Zu wenig sonst! - Nimm Arzenei, o Pomp!
Gib preis dich, fühl einmal, was Armut fühlt,
Daß du hinschüttst für sie dein Überflüss'ges
Und rettest die Gerechtigkeit des Himmels!
Kent: (drinnen.) Anderthalb Klafter! Anderthalb Klafter! Armer Thoms!
Narr: (indem er aus der Hütte läuft.) Geh nicht hinein, Gevatter! Hier ist ein Gespenst! Hilfe! Hilfe!
Kent: Gib mir die Hand. Wer ist da?
Narr: Ein Geist, ein Geist! Er sagt, er heiße armer Thoms.
Kent: Wer bist du, der im Stroh hier murmelt?
Komm heraus!
  Edgar tritt auf als Irrer.
Edgar: Hinweg! Der böse Feind verfolgt mich.
Durch scharfen Hagdorn saust der kalte Wind. Hu!
Geh in dein kaltes Bett und wärme dich.
Lear: Wie? Gabst du alles deinen beiden Töchtern?
Und kamst du so herunter?
Edgar: Wer gibt dem armen Thoms was, den der böse Feind durch Feuer und durch Flammen geführt hat, durch Flut und Strudel, über Moor und Sumpf, der ihm Messer unters Kissen gelegt hat und Schlingen unter seinen Stuhl; der ihm Rattengift in die Suppe tat, der ihm Hoffart eingab, auf einem braunen, trabenden Roß über vier Zoll breite Stege zu reiten und seinem eigenen Schatten wie ein Verräter nachzujagen. Gott schütze deine fünf Sinne! Thoms friert. (Vor Frost schaudernd.) O de de de de de! - Gott schütze dich vor Wirbelwinden, vor bösen Sternen und Seuchen! Gebt dem armen Thoms ein Almosen, den der böse Feind heimsucht. Hier könnt' ich ihn jetzt haben, und hier - und da - und hier wieder - und hier. - (Immerfort Ungewitter.)
Lear: Was, brachten ihn die Töchter in solch Elend?
Konntst du nichts retten? Gabst du alles hin?
Narr: Nein, er behielt ein Laken, sonst müßten wir uns alle schämen.
Lear: Nun, jede Seuche, die die Luft zur Strafe
Der Sünder herbergt, stürz' auf deine Töchter!
Kent: Herr! Er hat keine Töchter!
Lear: Ha, Tod, Rebell! Nichts beugte die Natur
Zu solcher Schmach als undankbare Töchter.
Ist's Mode jetzt, daß weggejagte Väter
So wüten müssen an dem eignen Fleisch?
Sinnreiche Strafe! Zeugte doch dies Fleisch
Diese Pelikan-Töchter.
Edgar: Pillicok #06 saß auf Pillicoks Berg:
Hallo, hallo, hallo!
Narr: Diese kalte Nacht wird uns alle zu Narren und Tollen machen.
Edgar: Hüte dich vor dem bösen Feind; gehorch deinen Eltern; halte dein Wort; fluche nicht; verführe nicht deines Nächsten angetraute Frau, hänge dein Herz nicht an eitlen Putz - Thoms friert!
Lear: Was bist du gewesen?
Edgar: Ein Verliebter, stolz an Herz und Sinn, der sein Haar kräuselte, Handschuh an seiner Kappe trug, den Lüsten seiner Gebieterin frönte und das Werk der Finsternis mit ihr trieb. Ich schwur so viele Eide, wie ich Worte redete, und brach sie im holden Angesicht des Himmels; schlief ein in Gedanken der Wollust und erwachte, sie auszuführen; den Wein liebte ich kräftig, die Würfel heftig, und mit den Weibern übertraf ich den Großtürken; falsch von Herz, leicht von Ohr, blutig von Hand; Schwein in Faulheit, Fuchs im Stehlen, Wolf in Gier, Hund in Tollheit, Löwe in Raubsucht. Laß nicht das Knarren der Schuhe, noch das Rascheln der Seide dein armes Herz den Weibern verraten. Halte seinen Fuß fern von Bordellen, deine Hand von Schürzen, deine Feder von Schuldbüchern und trotze dem bösen Feind! Immer noch durch den Hagdorn saust der kalte Wind; ruft summ, mum. - Heinonino, Dauphin, mein Junge, Hurra! Laß ihn vorbei #07.
  Anhaltendes Ungewitter.
Lear: Nun, dir wäre besser in deinem Grabe, als so mit unbedecktem Leib dieser Wut der Lüfte begegnen. Ist der Mensch nicht mehr als das? - Betracht ihn recht! Du bist dem Wurm keine Seide schuldig, dem Tier kein Fell, dem Schaf keine Wolle, der Katze keinen Bisam. Ha, drei von uns sind überkünstelt: du bist das Ding an sich; der natürliche Mensch ist nichts mehr als solch ein armes, nacktes, zweizinkiges Tier wie du. Fort, fort, ihr Zutaten! - Kommt, knöpft mich auf!
  Er reißt sich die Kleider ab.
Narr: Ich bitt dich, Gevatter, laß gut sein; das ist eine garstige Nacht zum Schwimmen. Jetzt wär' ein kleines Feuer auf einer wüsten Heide wie eines alten Buhlers Herz; ein kleiner Funke und der ganze übrige Leib kalt. Seht, hier kommt ein wandelndes Feuer.
Edgar: Das ist der böse Feind von Flibbertigibbett #08; er kommt mit der Abendglocke und geht bis zum ersten Hahnenschrei; er bringt den Star und den Schwind, macht das Auge schielend, verschrumpft den weißen Weizen und quält die arme Kreatur auf Erden:
      Sankt Withold #09 ins Feld dreimal wollt schreiten:
      Kommt die Nachtmar mit ihren neun Sprößlingen von weitem,
      Da dräut er gleich:
      Entweich! Entweich!
      Und trolle dich, Alp, und troll dich!
Kent: Wie geht's, mein König?
  Gloster kommt mit einer Fackel.
Lear: Wer ist der?
Kent: Wer da? Wen sucht Ihr?
Gloster: Wer seid Ihr? Eure Namen! -
Edgar: Der arme Thoms, der den schwimmenden Frosch ißt, die Kröte, die Unke, den Kellermolch und den Wassermolch; der in der Wut seines Herzens, wenn der böse Feind tobt, Kuhmist für Salat ißt, die alte Ratte verschlingt und den toten Hund; den grünen Schaum des stehenden Pfuhls trinkt, gepeitscht wird vom Kirchspiel und in die Eisen gesteckt, gestäupt und eingekerkert; der drei Kleider hatte für seinen Rücken, sechs Hemden für seinen Leib, zum Reiten ein Pferd, zum Tragen ein Schwert.
      Doch Mäus' und Ratten und solch Getier
      Aß Thoms sieben jahre lang für und für #10.
Hütet Euch vor meinem Verfolger! Still Smolkin, still, du böser Feind!
Gloster: Wie, gnä'ger Herr! Nicht bessere Gesellschaft?
Edgar: Der Fürst der Finsternis ist ein Edelmann,
Modo heißt er und Mahu.
Gloster: Ach unser Fleisch und Blut, Herr, ist so schlecht geworden,
Daß es die haßt, die es erzeugt.
Edgar: Thoms friert!
Gloster: Kommt mit mir, meine Treu' erträgt es nicht,
Zu folgen Eurer Töchter hartem Willen;
Befahlen sie mir gleich, die Tür zu schließen,
Euch preiszugeben der tyrann'schen Nacht.
Doch hab ich's darauf gewagt, Euch auszuspähn,
Und führ Euch hin, wo Mahl bereit und Feuer.
Lear: Erst red ich noch mit diesem Philosophen. -
Woher entsteht der Donner?
Kent: Mein teurer Herr! Nehmt seinen Vorschlag an,
Geht in das Haus.
Lear: Ein Wort mit diesem kundigen Thebaner. -
Was ist dein Studium?
Edgar: Den Teufel flieh und Ungeziefer töten.
Lear: Ein Wort mit Euch noch insgeheim.
Kent: Drängt ihn noch einmal mitzugehn, Mylord!
  Das Ungewitter dauert fort.
  Sein Geist beginnt zu schwärmen.
Gloster: Kannst du's tadeln?
Die Töchter suchen seinen Tod. Das sagst du
Voraus, du guter Kent! Du armer Flüchtling!
Du fürchtest, der König wird verrrückt; glaub mir,
Fast bin ich's selber auch; ich hatt' 'nen Sohn,
Verstoßen jetzt, er stand mir nach dem Leben
Erst neulich, eben jetzt - ich liebt' ihn, Freund,
Mehr liebt kein Vater je; ich sage dir,
Der Gram zerstört den Geist mir. - Welche Nacht!
Ich bitt Eu'r Hoheit -
Lear: O verzeiht.
Mein edler Philosoph, begleitet uns.
Edgar: Thoms friert.
Gloster: Hinein, Bursch, in die Hütte, halt dich warm!
Lear: Kommt all hinein.
Kent: Hierher, Mylord!
Lear: Mit ihm;
Ich bleibe noch mit meinem Phlosophen.
Kent: Willfahrt ihm, Herr, gebt ihm den Burschen mit!
Gloster: So nehmt ihn mit.
Kent: Du folg uns! Komm mit uns!
Lear: Komm, mein Athener!
Gloster: Nicht viel Worte, still!
Edgar:       Herr Roland kam zum finstren Turm,
      Sein Wort war stets: seid auf der Hut,
      Ich wittr', ich wittre Britenblut #11.
  Sie gehen alle ab.

Anmerkungen
#06 Aus einem Ammenreim; auch Kosewort mit einer obszönen Nebenbedeutung. Edgar nimmt das Wort als Name eines Dämons.
#07 Aus einer Spottballade, in der ein französischer König seinen Dauphin warnt, sich in einen Kampf einzulassen.
#08 Name eines Teufels, den Harsnet in seinen >>Enthüllungen papistischer Betrüger<< (1603) anführt; von Shakespeare als Quelle benutzt.
#09 St. Vitalis, der hier als Schützer gegen das Alpdrücken an Stelle des St- Georg genannt ist.
#10 Aus einer Ballade auf die Leiden der siebenjährigen Gefangenschaft des Bevis of Hampton.
#11 Aus einer größtenteils verlorenen Ballade von Child Roland.

 
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