K Ö N I G   L E A R Inhalt | Personenübersicht | Akt III, Szene VII

 
Akt III, Szene VI
In einer Hütte.
  Kent und Gloster treten ein.
 
Gloster: Hier ist's besser als draußen; nehmt es dankbar an; ich werde zu Eurer Bequemlichkeit hier hinzufügen, was ich vermag; gleich bin ich wieder bei euch.
Kent: Alle Kraft seines Geistes ist seiner Ungeduld gewichen. Die Götter lohnen Euch Eure Freundlichkeit!
  Gloster geht ab. - Lear, Edgar und der Narr kommen herein.
Edgar: Frateretto ruft mir zu und sagt, Nero fische im Pfuhl der Finsternis #12. (Zum Narren.) Bete, du Unschuldiger, und hüte dich vor dem bösen Feind.
Narr: Bitt dich, Gevatter, sag mir, ist ein toller Mann ein Edelamnn oder ein Bürgersmann?
Lear: Ein König, ein König!
Narr: Nein, 's ist ein Bürgersmann, der einen Edelmann zum Sohn hat; denn der ist ein wahnsinniger Bürgersmann, der seinen Sohn früher als sich zum Edelmann werden sieht.
Lear: Daß ihrer tausend mit rotglühenden Spießen
Laut zischend auf sie stürzten!
Edgar: Der böse Feind beißt mich im Rücken.
Narr: Der ist toll, der auf die Zamheit eines Wolfs baut, auf die Gesundheit eines Pferdes, eines Knaben Liebe oder einer Hure Schwur.
Lear: Es soll geschehn, gleich sprech ich euer Urteil.
(Zu Edgar.) Komm, setz dich her, du hochgelehrter Richter.
(Zum Narren.) Du weiser Herr, sitz hier. - Nun, ihr Wölfinnen -
Edgar: Sieh, wie er steht und glotzt; - habt Ihr keine
Augen vor Gericht, schöne Dame?
      Komm übern Bach, mein Liesel, zu mir #13.
Narr:       Ihr Kahn ist nicht dicht,
      Doch sagt sie dir's nicht,
      Warum sie 'rüber nicht darf zu dir.
Edgar: Der böse Feind verfolgt den armen Thoms mit der Stimme der Nachtigall. Hoptanz #14 schreit in Thoms' Bauch nach zwei Heringen. Krächze nicht, schwarzer Engel! Ich habe kein Futter für dich.
Kent: Nun, bester Herr? O steht nicht so betäubt!
Wollt Ihr Euch legen, auf den Kissen ruhn?
Lear: Erst das Verhör. Bringt mir den Zeugen her!
(Zu Edgar.) Du, Ratsherr im Talar, nimm deinen Platz.
(Zum Narren.) Und du, sein Amtsgenoß der Richterwürde,
Sitz ihm zur Seite.
(Zu Kent.) Ihr seid auch Geschworner,
Setzt Euch gleichfalls.
Edgar:       Laßt uns gerecht verfahren,
      Schläfst oder wachst du, artiger Schäfer?
      Deine Schäfchen im Korne gehen,
      Und flötet nur einmal dein niedlicher Mund,
      Deinen Schäfchen kein Leid soll geschehen.
Purr! die Katz' ist grau.
Lear: Sprecht über die zuerst: 's ist Goneril. Ich schwöre hier vor dieser ehrenwerten Versammlung, sie hat den armen König, ihren Vater, mit Füßen getreten.
Narr: Kommt, Lady! Eu'r Name Goneril?
Lear: Sie kann's nicht leugnen.
Narr: Verzeiht! ich hielt Euch für 'nen Sessel.
Lear: Und hier noch eine, deren scheeler Blick
Ihr finstres Herz verrät. O haltet fest!
He! Waffen, Waffen, Feuer, Schwert - Bestechung!
Du falscher Richter, läßt du sie entfliehn?
Edgar: Gott erhalte dir deine fünf Sinne!
Kent: O Jammer - Herr, wo ist nun die Geduld,
Die Ihr so oft Euch rühmtet zu bewahren?
Edgar: (Für sich.) Meine Tränen nehmen so Partei für ihn,
Daß sie mein Spiel verderben.
Lear: Die kleinen Hunde, seht,
Die guten Tiere, alle belln mich an.
Edgar: Thoms wird seinen Kopf nach ihnen werfen. Hinaus mit euch, ihr Kläffer!
      Sei dein Maul schwarz oder weiß,
      Sei's von gift'gem Geifer heiß,
      Windspiel, Bullenbeißer, Jagdhund,
      Bracke, Pudel, Dogg' und Schlachthund,
      Lang- und Stumpfschwanz, all ihr Köter,
      Hört ihr Thoms, so schreit ihr Zeter,
      Denn werf ich so den Kopf nach euch,
      Rennt ihr und springt in Graben und Teich.
Dudi, dui, Sessa! - kommt auf die Kirmes und den Jahrmarkt! Armer Thoms! - Dein Horn #15 ist trocken.
Lear: Nun laßt sie Regan sezieren und sehn, was in ihrem Herzen brütet. Gibt's irgendeine Ursach' in der Natur, die diese harten Herzen hervorbringt? (Zu Edgar.) Euch, Herr, halte ich als einen meiner Hundert! Nur gefällt mir der Schnitt Eures Habits nicht. Ihr werdet sagen, es sei persische Tracht; aber laßt es ändern.
Kent: Nun, teurer Herr, ruht hier und schlaft ein Weilchen.
Lear: Macht keinen Lärm, macht keinen Lärm; zieht den Vorhang zu. So, so, so; wir wollen zur Abendtafel morgen früh gehn; so, so, so.
Narr: Und ich will am Mittag zu Bett gehn.
  Gloster kommt zurück.
Gloster: Komm her, Freund, sag, wo ist mein Herr, der König?
Kent: Hier, Herr! Doch stört ihn nicht, er ist von Sinnen.
Gloster: Du guter Mann, nimm ihn in deine Arme.
Von einem Anschlag, ihn zu töten, hört' ich.
Ich hab 'ne Sänfte, leg ihn da hinein.
Und rasch nach Dover, wo du finden wirst
Schutz und Willkommen. Eil und nimm ihn auf!
Säumst du 'ne halbe Stunde nur, so ist
Sein Leben, deins und aller, die ihn schützen,
Verloren ohne Rettung. Fort denn, fort,
Und folge mir. Ich schaffe, dich zu schützen,
Ein schnell Geleit.
Kent: Schläfst du, erschöpfte Kraft?
Ein Balsam wär's für dein zerrißnes Leben,
Das, ist dir solche Lindrung nicht vergönnt,
Wohl schwer gesundet.
(Zum Narren.) Komm, hilf deinem Herrn,
Du darfst zurück nicht bleiben.
Gloster: Kommt, hinweg!
  Kent, Gloster und der Narr tragen den König fort. - Edgar bleibt allein.
Edgar: Sehn wir den Größern tragen unsern Schmerz,
Kaum rührt das eigne Leid noch unser Herz.
Wer einsam duldet, fühlt die tiefste Pein,
Fern jeder Lust, trägt er den Schmerz allein.
Doch kann das Herz viel Leiden überwinden,
Wenn sich zur Qual und Not Genossen finden.
Mein Unglück dünkt mir leicht und minder scharf,
Da, was mich beugt, den König niederwarf;
Er kind-, ich vaterlos. Nun, Thoms, wohlan,
Merk auf den Sturm der Zeit; erschein erst dann,
Wenn die Verleumdung, deren Schmach dich peinigt,
Beschämt durch Prüfung, deinen Namen reinigt.
Komme was will zur Nacht, flieht nur der König!
Gib acht! Gib acht!
  Geht ab.

Anmerkungen
#12 Vielleicht nach Rabelais, der in seinem >>Gargantua<< den Nero in der Hölle als Geiger, den Trajan als Angler leben läßt.
#13 Aus einem alten Volkslied. Liesel ist die Begleiterin des armen Thoms.
#14 Aus Harsnets Buch über den Beschwörungsschwindel der Jesuiten.
#15 Das Trinkhorn, das man den Verrückten umhängte, die nicht gemeingefährlich waren, so daß man sie frei herumlaufen lassen konnte.

 
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