H A M L E T | Inhalt | Personenübersicht | Akt I, Szene III |
Akt I, Szene II |
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Ein Staatszimmer. |
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König: | Wenn schon die Erinnerung an den Tod Hamlets, unsres treuen Bruders, noch frisch ist, wenn schon es uns geziemte, unsre Herzen in Trauer zu tragen, und unsrem ganzen Königreich vor Gram die Stirne zu falten, so hat eine weise Einsicht dennoch die Natur bekämpft, daß wir mit verständigem Schmerze daran denken, mit Berücksichtigung unsrer selbst. Deshalb haben wir unsre frühere Schwester, jetzt unsere Königin, die erhabene Wittib dieses kriegerischen Staates - mit geteilter Freude - mit hoffnungsreichem und weinendem Auge - mit Freude beim Begräbnis und Trauer bei der Hochzeit - in gleicher Waage Lust und Betrübnis wiegend - zum Weibe genommen: Wir haben hierin Eure bessre Absicht nicht gehemmt, welch uns während dieser Angelegenheit freiwillig geleitet. Euch für alles Dank. |
Nun folgt; möget Ihr wissen, der junge Fortinbras - eine geringe Meinung von unsrem Werte hegend, oder glaubend, durch den jüngst erfolgten Tod unsres teuren Bruders sei unser Staat aufgelöst und außer Rand und Band, hat - verwebt mit diesem Traume seiner Überlegenheit - nicht ermangelt, uns mit einer Botschaft zu belästigen, woraus die Abtretung derjenigen Lande folgt, die durch seinen Vater innerhalb aller gesetzlichen Formen an unsren sehr ehrenhaften Bruder verloren wurden. So viel von ihm. - Nun von uns selbst und unsrer jetzigen Sitzung. So viel ist geschehn: Hier haben wir an Norweg, dem Onkel des jungen Fortinbras geschrieben - welcher, schwach und bettlägrig, kaum von dem Vorhaben seines Neffen hört - seine ferneren Schritte hierin zu unterlassen; insbesondere da die Werbungen und Listen alle aus seinen Untertanen gemacht sind. Euch, guter Cornelius, und Euch, Voltimand, senden wir hiermit als Überbringer dieses Grußes zum alten Norweg, indem ich Euch keine weitere Vollmacht erteile, mit dem König zu unterhandeln, als den Zweck der zugestandenen Artikel hervorzuheben. Lebt wohl! Und laßt Euch Eil Euer Pflichtgefühlt empfehlen. | |
Cornelius, Voltimand: |
In diesem und allen Dingen werden wir unsre Pflicht zeigen. |
König: | Wir bezweifeln es nicht; von Herzen lebt wohl. |
Cornelius, Voltimand ab. | |
Und nun, Laërtes, was habt Ihr Neues? Ihr spracht zu uns von einem Gesuch, was ist's, Laërtes? Ihr werdet billig zum Dänenkönig sprechen und Eure Worte nicht verschwenden. Was könntest Du fordern, Laërtes, ohne daß Deiner Bitte mein Anerbieten folgen wird. Der Kopf paßt nicht natürlicher zum Herzen, die Hand ist nicht dienstverpflichteter dem Munde, als es Dän'marks Thron Deinem Vater ist. Was begehrst Du, Laërtes? | |
Laërtes: | Erhabner Fürst! Eure Erlaubnis und Unterstützung, nach Frankreich zurückzukehren. Obschon ich freiwilig von dorther nach Dänemark kam, meine Ehrfurcht bei Eurer Krönung zu bezeugen, wenden sich jetzt - ich muß es bekennen - nachdem ich meiner Pflicht genügt - dennoch meine Gedanken und Wünsche Frankreich zu und harren Eurer gnädigen Erlaubnis und Verzeihung. |
König: | Habt Ihr Eures Vaters Erlaubnis? Was sagt Polonius? |
Polonius: | Er hat, mein Fürst, nach mühevollem Bitten, mir die Erlaubnis langsam abgerungen; und zuletzt hab' ich nach seinem Wunsch meine unfreundliche Zustimmung besiegelt. Ich bitt' Euch, gebt Ihm die Erlaubnis zu gehn. |
König: | Ergreife jede schöne Stunde, Laërtes, die Zeit sei Dein, Dein ihre höchste Gunst: Verwende sie nach Deinem Wunsch. Doch nun, mein Vetter Hamlet, Du mein Sohn - |
Hamlet: | (beiseite) Mehr noch als Vetter, weniger als Vater. |
König: | Wie kommt es, daß jetzt noch Wolken Euch verdüstern? |
Hamlet: | Nicht so, mein Fürst, ich habe zu viel Sonne. |
Königin: | Lieber Hamlet, verbanne Dein nächtig Ansehn und schau aus den Augen wie ein Freund Dänemarks. Suche nicht immer, mit gesenkten Augenliedern, Deinen edlen Vater im Staube. Du weißt, es ist allgemein, alles was lebt muß sterben, indem es durch die Teit zur Ewigkeit eingeht. |
Hamlet: | Ja, Madam, es ist allgemein. |
Königin: | Wenn es so ist, warum scheint es so besonders Dir? |
Hamlet: | Scheint, Madam! Nein ES IST; ich weiß von keinem Schein. Nicht nur mein dunkler Mantel, gute Mutter, ist's noch das gewohnte Kleid von feierlichem Schwarz, auch nicht das heftige, verstärkte Atmen, der häufige Tränenstrom des Auges nicht, selbst nicht der Zug der Trauer im Gesichte, mitsamt der Formen, Arten, Schmerzenszeichen all, was mich in Wahrheit schildern kann: Ja - in der Tat - DAS SCHEINT, denn es sind Dinge, die man spielen kann; doch trag' ich in mir was, das mehr als Schein; nur Schmuck und Kleid ist jenes für den Schmerz. |
König: | Schön, Hamlet, ist's und Euer Herz empfehlend zu trauern pflichtgemäß ob eines Vaters, doch Eurem Vater, wisset, starb ein Vater, und dem verlornen Vater starb der seine; der Überlebende, durch Kindespflicht gezwungen, folgt eine Zeitlang seinem Grame noch; doch zu beharren in wiederspenst'gem Weh, ist eine Folge sünd'gem Starrsinns, ist nicht Mannes Schmerz, es zeigt dem Himmel einen bösen Willen, ein schwaches Herz und unzufriednen Geist nebst einfachem, ungeblidetem Verstand. Wovon wir wissen, daß es muß so sein, was unsrem Sinn gewöhnlich und gemein, das sollten wir in mürr'schem Widerstand zu Herzen uns nehmen? Pfui, das heißt, am Himmel, am Tode sich und der Natur vergehn, das ist zuwider der Vernunft; der ist gewöhnlich der Väter Tod, und stets hat sie gesprochen vom ersten Leichnam bis zum heut'gen Tod: DAS MUß SO SEIN! |
Wir bitten Euch, bestattet dieses schlaffe Weh und denkt von uns als Eurem Vater, laßt uns schaun in die Welt: Ihr seid der nächste unsrem Throne und mit geringrem Liebesadel nicht, als für den Sohn der beste Vater hegt, komm' ich zu Euch. Was Euren Wunsch betrifft, zur Schule Wittenbergs zurückzugehn, - ist er entgegen unsrer Absicht ganz; und wir ersuchen Euch, zwingt Euch zu weilen hier in der Freud' und Lust vor unsrem Auge, als erster Hofmann, Vetter uns und Sohn. | |
Königin: | Hamlet, laß Deine Mutter nicht vergeblich flehn, ich bitte Dich, bleib hier, geh nicht nach Wittenberg. |
Hamlet: | Madam, gehorchen werd' ich bestens Euch in allem. |
König: | Die Antwort ist doch liebenswert und schön. Sei wie wir selbst in Dän'mark; komm, Gemahl! Das unerzwungne Zugeständnis Hamlets tut meinem Herzen wohl; aus Dank dafür, trinkt Dän'mark heut kein lustig Lebehoch, das das Geschütz den Wolken nicht verkündet; der Himmel soll des Königs Freud' erwidern, antwortend ird'schem Donner. Laß uns gehn. |
Alle ab außer Hamlet. | |
Hamlet: | O, laß dies zu, zu feste Fleisch zerschmelzen, Daß es zu Tau zergehe, sich lösen möchte; Daß doch der Himmel nicht verboten hätte Den Selbstmord im Gesetz! O Gott, o Gott, Wie lästig, schal, wie flach und ohne Nutzen Scheint all das Treiben mir auf dieser Welt! Pfui ihr! Ein Garten ist sie, ungejätet, Zur Reife wachsend; faul und schmutzig ist, Was sie besitzt. Wohin ist es gekommen! Zwei Monde tot - nein, nicht so viel, nicht zwei; Ein solcher König, daß er war zu diesem Hyperion zum Satyr: So liebend meine Mutter, Daß er des Himmels Winden nicht erlaubte, Rauh das Gesicht ihr zu berühren. Erd und Himmel, Muß des ich denken, wie sie hing an ihm, Als ob der Hunger mehrte sich und wüchse Mit dem Genuß; und jetzt - in einem Mond - Gedanken fort - Schwachheit, dein Nam' ist Weib. Ein Monat kaum; bevor die Schuh veraltet, Worin sie meines Vaters Leiche folgte - Wie Niobe geweint - sie, eben sie - O Himmel, ein vernuftloses Tier, es hätte Getrauert mehr - vermählt mit meinem Ohm, Des Vaters Bruder, doch nicht gleicher ihm Als ich dem Herkules; in einem Mond Eh' noch das Salz höchst unbefugter Tränen Verlassen ihre rot geriebnen Augen - Ist sie vermählt - gottlose Hast - so schnell In das blutschänderische Bett zu eilen. Es ist nicht gut, und kann es nimmer werden, Brich denn, mein Herz, denn schweigen muß der Mund. |
Horation, Bernardo und Marcellus treten auf. | |
Horatio: | Heil Eure Hoheit! |
Hamlet: | Ich bin erfreut, Euch wohl zu sehn; Horatio - oder ich vergesse mich selbst. |
Horatio: | Derselbe, mein Prinz, und ewig Euer armer Diener. |
Hamlet: | Mein lieber Freund; den Namen will ich mit Euch tauschen; was treibt Euch her von Wittenberg, Horatio, Marcellus? |
Marcellus: | Mein teurer Prinz - |
Hamlet: | Ich bin sehr erfreut, Euch zu sehn; guten Abend, Herr; aber im Vertrauen, was bracht' Euch her von Wittenberg? |
Horatio: | Lust zum Müßiggang, mein teurer Prinz. |
Hamlet: | Ich möchte das von Eurem Feind nicht hören, nicht soll mein Ohr die Schmach Euch tun und Eurem eignen Ausspruch nicht vertrauen, der gen Euch selbst. Ich weiß, Ihr seid nicht träge. Was treibt Ihr hier in Helsingör? Wir wolln Euch tüchtig trinken lehren, bevor Ihr abreist. |
Horatio: | Mein Prinz, ich kam, Eures Vaters Bergräbnis beizuwohnen. |
Hamlet: | Freund, Bruder, ich bitte Dich, spotte meiner nicht; ich glaube, es war meiner Mutter Vermählung zu sehn. |
Horatio: | In der Tat, mein Prinz, sie folgte gleich darauf. |
Hamlet: | Profit, Profit - Horatio; die Speisen, zur Leichenfeier bereitet, zierten später kalt die Hochzeittafel. Hätt' ich doch lieber meinen ärgsten Feind im Himmel angetroffen, als diesen Tag gesehn, Horatio. Mein Vater, mich dünkt, ich sehe meinen Vater. |
Horatio: | Wo, mein Prinz? |
Hamlet: | Vor meines Geistes Auge, Horatio. |
Horatio: | Ich sah ihn einmal, er war ein edler König. |
Hamlet: | Er war ein Mann, nimm alles hier in allem, ich werd' ihm gleich nie jemand wieder sehn. |
Horatio: | Mein Prinz, ich glaub', ich sah ihn gestern Nacht. |
Hamlet: | Sahst, wen? |
Horatio: | Mein Prinz, den König, Euren Vater. |
Hamlet: | Den König, meinen Vater! |
Horatio: | Leiht Eurem Staunen eine Zeitlang noch ein aufmerksames Ohr, bis ich Euch, auf das Zeugnis dieser Edelleute, dies Wunder berichten mag. |
Hamlet: | Bei Gottes Liebe, laß mich hören. |
Horatio: | Zwei Nächte hintereinander war diesen Edelleuten, Marcellus und Bernardo, während ihrer Wacht um Mitternacht folgendes begegnet: Eine Gestalt, gleich der Eures Vaters, bewaffnet ganz vom Kopfe bis zum Fuß, erschien vor ihnen, und mit feierlichem Schritt ging sie langsam und majestätisch an ihnen vorüber. Dreimal schritt er vor ihren geängstigten, furchterstaunten Augen hin, bis sein Stab sie erreichte; während sie vor Furcht zu Gallert fast gelöst stumm standen und nicht zu ihm sprachen.Dies teilten sie mir, in ihrer Furcht, heimlich mit, und ich wachte die dritte Nacht mit ihnen; wo - wie sie berichtet hatten, sowohl in der Zeit, als die Gestalt des Dinges betreffend, jedes ihrer Worte wahr und ehrlich - die Erscheinung kam. Ich kannte Euren Vater; diese Hände sind sich nicht ähnlicher. |
Hamlet: | Doch wo war es? |
Marcellus: | Auf der Terasse, wo wir wachten, mein Prinz. |
Hamlet: | Spracht Ihr nicht zu ihm? |
Horatio: | Ich tat es, mein Prinz, aber es antwortete nicht; nur einmal schien es mir, es höbe seinen Kopf und schickte sich zu einer Bewegung an, als ob es sprechen wollte; aber eben da krähte laut der frühe Hahn; bei diedem Tone schrumpfte es eilig wieder zusammen und verschwand vor unsren Augen. |
Hamlet: | 's ist sehr seltsam. |
Horatio: | So gewiß ich lebe, mein geehrter Prinz, es ist wahr, und wir hielten es für unsre Pflicht, Euch es wissen zu lassen. |
Hamlet: | Feilich, freilich - Ihr Herrn - aber das alles verwirrt mich; habt Ihr Wache zur Nacht? |
Alle: | Wir tun sie, mein Prinz. |
Hamlet: | Bewaffnet, sagtet Ihr? |
Alle: | Bewaffnet, mein Prinz. |
Hamlet: | Von Kopf zu Fuß? |
Alle: | Von Kopf zu Fuß, mein Prinz. |
Hamlet: | Dann saht Ihr nicht sein Gesicht. |
Horatio: | O, ja, mein Prinz: Er trug sein Visier geöffnet. |
Hamlet: | Wie, blickt' er zornig drein? |
Horatio: | Eine mehr traurig als erzürnte Miene. |
Hamlet: | Bleich oder rot? |
Horatio: | Nein, sehr bleich. |
Hamlet: | Und heftete seine Augen auf Euch? |
Horatio: | Beständig. |
Hamlet: | Ich wollt', ich wäre da gewesen. |
Horatio: | Es würd' Euch sehr erschreckt haben. |
Hamlet: | Wohl möglich, wohl möglich; stand es lange? |
Horatio: | Derweil jemand mäßig schnell bis hundert zählen kann. |
Marcellus, Bernardo: |
Länger, länger! - |
Horatio: | Nicht, als ich es sah. |
Hamlet: | Sein Bart war grau? Nicht war? |
Horatio: | Er war, wie ich ihn in seinem Leben gesehen habe, halb schwarz, halb silberfarbig. |
Hamlet: | Ich will diese Nacht wachen; vielleicht wird es wieder umgehn. |
Horatio: | Ich bürge dafür, es wird. |
Hamlet: | Wenn es meines edlen Vaters Gestalt annimmt, will ich zu ihm sprechen, ob auch die Hölle selbst sich auftäte und mir Stillschweigen geböte. Ich bitt' Euch, wenn Ihr jetzt das Gesehne geheim gehalten habt, verschweigt es stets, und was sonst zur Nacht geschehen wird, leiht ihm Verständnis, aber nicht die Zunge. Ich werde Eure Liebe lohnen; So lebet wohl, auf der Terasse, zwischen elf und zwölf, such' ich Euch auf. |
Alle: | Unserer Ergebenheit, Euer Hoheit. |
Hamlet: | Eure Liebe, wie die meinige zu Euch: Lebt wohl! |
Horatio, Marcellus, Bernardo ab. | |
Hamlet: | Meines Vaters Geist bewaffnet! Nicht alles ist im Rechten; ich befürchte falsches Spiel und wollte, die Nacht wäre da. Bis dahin still, meine Seele: Böse Taten werden sich zeigen, wenn auch die ganze Erde sie dem menschlichem Auge verbirgt. |
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