H A M L E T Inhalt | Personenübersicht | Akt IV, Szene VI

 
Akt IV, Szene V
Helsingör. Ein Zimmer im Schloß.
  Königin und Horatio treten auf.
 
Königin: Ich will nicht mit ihr sprechen.
Horatio: Sie ist so dringend, und, bei Gott, verrückt;
Ihr Zustand heischt Mitleid.
Königin: Was wollte sie?
Horatio: Vom Vater spricht sie viel, und sagt: Ich höre,
Die Welt sei voll Betrug; sie schlägt ihr Herz,
Ein Strohhalm reizt sie, und Zweideutigkeiten
Spricht halben Sinnes sie; nichts ist ihr Wort,
Doch aus dem wirren Durcheinander ziehn
Die Hörer einen Schluß; man mutmaßt draus,
Und pfropft ihr Wort auf eigene Gedanken; -
Und wie sie winkt und nickt und sich gebärdet,
Erlaubt Gedanken sie, die nichts Gewisses,
Doch mancherlei gar Arges denken lassen.
Königin: Gut wär's, mit ihr zu sprechen, streuen mag sie
Gefährliche Ideen in böse Herzen.
Sie komm herein!
  Horatio ab.
  Bei meiner armen Seel', wahr ist die Sünde,
Das Kleinste scheint Prolog zum Unglück mir,
So voll kunstlosen Argwohns ist Vergehn,
Es straft sich, fürchtend, sich bestraft zu sehn.
  Horatio kehrt mit Ophelia zurück.
Königin: Wie nun, Ophelia!
Ophelia: (singt) Woran kenn' ich meinen Liebsten
Vor den anderen nun?
An dem Muschelhut und Stab
Und den Sandalenschuhn.
Königin: Ach, teures Fräulein, deutet diesen Sang!
Ophelia: Sprecht Ihr? Nein, bitt' Euch, hört. (Singt.)
Er ist tot nun, gnädge Frau,
Ruht im Totenschrein,
Grüner Rasen oberwärts,
Unterwärts ein Stein. O, ho!
Königin: Aber Ophelia -
Ophelia: Bitt' Euch, hört!
Bergschneeweiß sein Sterbetuch -
  Der König tritt auf.
Königin: Ach, seht hier, mein Herr!
Ophelia: - Blumen drüber hin.
Die betränt zu Grabe trug
Treuer Liebessinn.
König: Wie geht's, schönes Fräulein?
Ophelia: Gut; Gott vergelt's Euch! Man sagt, die Eule war eine Bäckerstochter. Herr, wir wissen, was wir sind, aber nicht, was wir sein könnten. Gott sei zu Tisch bei Euch.
König: Anspielung auf ihren Vater.
Ophelia: Bitte, laßt und nicht davon sprechen, aber wenn man Euch frägt, was es bedeutet, so sagt dies:
  Wir haben morgen Val'ntinstag,
Bald bricht der Tag herein,
Und ich die Maid am Fensterkreuz
Will Valentin Dir sein.
  Dann steht er auf, zieht Hosen an,
Macht auf die Zimmertür,
Läßt ein die Maid, doch nimmermehr
Als Mädchen sie herfür.
König: Holde Ophelia!
Ophelia: Wahrhaftig, ohne Schwur, ich will's beenden:
  Bei Gertrud und St. Charitas,
O, Weh und Pfui darob,
Der junge Mann tut's, wenn er kann;
Es bringt ihm wenig Lob.
  Sie spricht: Bevor Du mich getippt,
Versprachst Du mich zu frein;
- Er antwortet: -
Bei jener Sonn' ich tät' es auch,
Kamst Du nicht in mein Bett herein.
König: Seit wie lange ist sie so?
Ophelia: Ich hoffe, alles wird gut werden. Wir müssen Geduld haben: Ach, es zwingt mich bei dem Gedanken zu weinen, sie könnten ihn in die kalte Gruft senken. Mein Bruder soll es erfahren, und so dank' ich Euch für Euren guten Rat. Komm, meine Kutsche! Gute Nacht, teure Damen, gute Nacht, gute Nacht? -
  Ophelia ab.
König: Folgt ihr sogleich, bewacht sie gut, ich bitt' Euch.
  Horatio ab.
  Das ist des tiefsten Kummers Gift, des Grund
Nur ihres Vaters Tod: Und nun betrachtet -
O, Gertrud, Gertrud -
So kommen Sorgen nicht, Spionen - nein -
Kolonnen gleich. Ihr Vater erst erschlagen,
Fort Euer Sohn dann, und sein Zorn der Grund,
Der selber ihn verbannt. Das Volk verstimmt;
Und schwarz und krank sein Flüstern, Denken über
Polonius' Tod; von uns war's unvorsichtig,
So still ihn zu bestatten. Arm' Ophelia,
Sich selbst und ihrer Urteilskraft beraubt,
Ohn' die wir Bilder oder Tiere sind.
Zuletzt - soviel bedeutend wie das alles -
Ihr Bruder ist aus Frankreich heimgekehrt,
Stellt sich verwundert, hüllt in Wolken sich,
Und Klatscherei wird ihm das Ohr vergiften
Ob seines Vaters Tod mit Pestesworten;
Wobei Verlegenheit, an Vorwand arm,
Nicht Anstand nehmen wird uns selbst zu bringen
Von Ohr zu Ohr. O, teure Gertrud, dies
Gibt mir, wie ein Kartätschenschuß, den Tod
Im Überfluß an vielen Stellen.
  Lärm innerhalb.
Königin: Weh, welch Lärm ist das?
  Ein Edelmann tritt auf.
König: Achtung!
Wo sind die Schweizer? Stellt sie an die Tür!
Was gibt's?
Edelmann: Mein König, rettet Euch!
Der Ozean, die Grenzen überschreitend,
Frißt nicht mit ungestümrer Hast das Land,
Als an des Aufruhrs Spitze Eure Diener
Laërtes übermannt! Der Pöbel nennt ihn - Herr!
Es ist, als ob die Welt erst jetzt begönne,
Vergessen - Sitte, unbekannt - Gebrauch,
Und die Bekräft'ger jedes Wortes schrein:
Wir wählten; König soll Laërtes sein,
Und Mütze, Zung' und Hand verheißt's den Wolken:
Laërtes soll der König sein. Laërtes.
  Lärm innerhalb.
König: Die Türen sind erbrochen.
  Laërtes tritt bewaffnet auf; Dänen folgen.
Laërtes: Wo ist der König? Bleibt, Ihr Herren, draußen.
Dänen: Nein, laßt uns hinein.
Laërtes: Ich bitte drum, entfernt Euch.
Dänen: Wir wolln, wir wolln.
  Sie ziehn sich außerhalb der Tür zurück.
Laërtes: Dank Euch. Besetzt die Tür. - O, schurk'scher König!
Gib meinen Vater mir.
König: Ruhig, guter Laërtes.
Laërtes: Der Tropfen Bluts, der ruhig, schimpft mich Bastard,
Heißt Hahnrei meinen Vater, stempelt hier,
Hier zwischen diese keusche, reine Brau'
Zur Hure meine Mutter.
König: Was ist der Grund, Laërtes,
Der Deinen Aufruhr macht so riesengleich?
Gertrud, laß gehn ihn, fürchte nicht für uns;
Soviel der Heiligkeit umgibt den König,
Daß der Verrat, was immer er bezweckt,
Nur schwach sein Ziel erreicht. Sag mir, Laërtes,
Warum Du so entflammt? Gertrud, laß gehn ihn!
Sprich, Mann!
Laërtes: Wo ist mein Vater?
König: Tot.
Königin: Doch nicht durch ihn.
König: Laß ihn, frag er sich satt.
Laërtes: Wie kam er um? Ich laß mich nicht betrügen -
Zur Hölle - Treu! und Eid zum schwärzsten Teufel!
Gewissen, Dankbarkeit ins tiefste Grab!
Ich trotze der Verdammnis; steh am Punkt,
Wo beide Welten mir gleichgültig sind.
Was kommt, es komme; rächen will ich gründlichst
Den Vater erst.
König: Wer hindert Euch?
Laërtes: Mein Will', nicht der der Welt,
Und meine Mittel will ich so bemeistern,
Daß mit Geringem weit ich reich'.
König: Laërtes,
Wenn Ihr die Wahrheit zu vernehmen wünscht
Von Eures Vaters Tod, - heischt Eure Rache,
Dann Freund und Feind beim Spielen auszuziehn,
Gewinner und Verlierer?
Laërtes: Nur die Feinde.
König: Wollt Ihr sie kennen?
Laërtes: Ich will die Arme seinen Freunden öffnen,
Gleich jener Art des Pelikan sie nähren
Mit meinem Blut.
König: Nun sprecht Ihr endlich
Als guter Sohn und wackrer Edelmann:
Daß schuldlos ich an Eures Vaters Tod
Und überaus davon ergriffen bin,
Soll Eurem Urteil bald so klar erscheinen,
Als Eurem Aug' der Tag.
Dänen: (innerhalb) Laßt sie hinein!
Laërtes: Was gibts?! Welch Lärmen das?
  Ophelia tritt auf, phantastisch geschmückt mit Stroh und Blumen.
  Glut dörr' mein Hirn! Ihr Tränen siebenfach
Gesalzen, brennt des Auges Sehkraft aus.
Bei Gott, Dein Wahnsinn wird so schwer bezahlt
Bis unsre Schale sinkt. O, Maienrose!
Mein teures Mädchen, Schwester, lieb' Ophelia!
Ist's möglich! Kann der Jungfrau klarer Sinn
So sterblich sein wie eines Alten Leben?
Zart liebt die Natur, und wo sie zärtlich ist,
Da sendet sie ein kostbar Angebinde
Dem Dinge, das sie liebt.
Ophelia: Sie trugen nackt ihn auf der Bahr';
Hei lustig, heißa hei!
Ins Grab rann manches Tränenpaar; -
Leb wohl, meine Taube!
Laërtes: Hätt'st Du Verstand, und sporntest mich zur Rache, nicht so bewegt'st Du mich.
Ophelia: Ihr müßt singen: "Unter, drunter, heißen soll er unterwärts." O, wie der Chorus paßt; es ist der falsche Vogt, der seines Herren Tochter stahl.
Laërtes: Das ist mehr als Unsinn.
Ophelia: Da ist Rosmarin, das ist zur Erinnerung; ich bitt' Euch, liebt mich, gedenket mein; und da ist Vergißmeinnicht, das ist zum Andenken.
Laërtes: Ein Beweis ihres Wahnsinns, Andenken und Erinnerung zu trennen.
Ophelia: Da ist Fenchel für Euch und Akelei; da Raute für Euch, und hier etwas für mich: Wir können es Gottesgnadenkraut nennen; Eure Raute muß einen Unterschied zeigen. - Da ist ein Tausendschön. - Ich wollt' Euch einige Veilchen geben; aber sie bleichten alle, als mein Vater starb. Man sagt: Er hatte ein gutes Ende, "Denn Robin der Schöne ist all meine Lust."
Laërtes: Gram, Schwermut, Leidenschaft, die Hölle selbst
Verwandelt sie in Mild' und Lieblichkeit.
Ophelia: (singt)
Und kommt er nimmermehr?
Und kommt er nimmermehr?
Nein, er ist tot und fort,
Such Deinen Sterbeort
Nur auch, - er kommt nicht mehr.
Sein Bart war weiß wie Schnee,
Sein Haupt wie Flachs dabei,
Er ist dahin, dahin,
Der Schmerz aus unsrem Sinn, -
Gott gnädiglich ihm sei!
Und alles Christenseelen! So bet' ich. Gott mit Euch.
  Ophelia ab.
Laërtes: Seht Ihr's? O Gott!
König: Laërtes, teilen laßt mich Euren Schmerz,
Sonst nehmt Ihr mir mein Recht. Geht nur beiseit,
Wählt nach Gefalln die klügsten Eurer Freunde,
Sie sollen hören, richten zwischen uns:
Gleichviel, ob sie direkt, ob mittelbar
Uns schuldig finden. - Unser Königreich
Und Kron' und Leben und was mein ich nenne
Gewähre Dir Satisfaktion; wo nicht,
So sei's zufrieden, uns Geduld zu leihn,
Und streben wolln wir sämtlich, Eurer Seele
Den schuld'gen Frieden zu verleihn.
Laërtes: So sei's.
Bei seinem Tod das Treiben, sein Begräbnis,
- Nicht Fahne, Schwert, noch Wappen auf dem Sarge,
Nicht Leichenred' noch äußerlich Gepränge -
Schreit, daß vom Himmel man's auf Erden hört,
Daß Rechenschaft ich fordre.
König: Also tut;
Auf den Beleid'ger fall die mächt'ge Axt.
Ich bitt' Euch, kommt mit mir.
  Ab.

 
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